Don’t look back in anger*
Dafür mit Neugier: Retros für Teams
Retrospektive: Laut Duden bedeutet das: “Blick in die Vergangenheit; Rückblick, Rückschau”. Im Scrum sind Retrospektiven - liebevoll Retros genannt - fester Bestandteil der Zusammenarbeit. Es geht darum zu reflektieren, “wie der letzte Sprint in Bezug auf Individuen, Interaktionen, Prozesse, Werkzeuge”** gelaufen ist, mit dem Ziel, “Wege zur Steigerung von Qualität und Effektivität zu planen”**. Sie stehen am Ende jedes der als Sprint bezeichneten Arbeitsabschnitte und da ein Sprint maximal einen Monat dauern sollte, führen Scrum Teams Retros mindestens monatlich durch.
Ihr arbeitet nicht nach Scrum? Macht nichts. Retrospektiven sind nicht nur für Scrum Teams eine gute Idee. Ab und an sollte sich jedes Team zusammensetzen, die Arbeitsinhalte für einen Moment beiseite legen und die Zusammenarbeit in den Fokus nehmen.
Retros sind wie Äxte schärfen.
Ihr kennt vielleicht die Geschichte von den Holzfällern, die mit großem Einsatz, aber stumpfen Äxten, auf Baumstämme einhacken? “Warum schleift ihr eure Äxte nicht?”, fragt ein vorbeikommender Wanderer. Einer der Holzfäller antwortet: “Keine Zeit, wir müssen Bäume fällen”.
Wenn eure Prozesse nicht gut funktionieren, Verantwortlichkeiten nicht klar verteilt sind, Kommunikation versandet, dann ist das wie Holzfällen mit stumpfen Äxten. Ihr verliert Zeit beim Suchen von Informationen, in fruchtlosen Diskussionen, macht Arbeit doppelt. Der persönliche und kollektive Frust darüber muss immer wieder abgebaut werden, das braucht Zeit und kostet Energie. Da ist es doch besser, diese Zeit und Energie in regelmäßige Retros zu stecken. Vielleicht passt sie nicht jeden Monat in euren Teamkalender und vielleicht ist in eurem Umfeld eine so häufige Reflexion gar nicht sinnvoll, dann plant sie jeden zweiten Monat oder wenigstens einmal im Quartal.
Für die Durchführung von Retrospektiven stehen zahlreiche Vorlagen und Anleitungen zur Verfügung, schaut euch zum Beispiel mal bei retromat.org oder funretrospectives.com um. Und wenn ihr Hilfe braucht, kontaktiert mich gern.
Der Ablauf einer Retro folgt in der Regel dem Muster: Ankommen, Informationen sammeln, Erkenntnisse entwickeln, Maßnahmen festlegen und Abschluss. Und diese Bestandteile schauen wir uns jetzt einmal aus teampsychologischer Sicht an.
Ankommen: Ein nicht zu unterschätzender Bestandteil!
In der Regel kommen wir aus einem hektischen Arbeitsalltag in die Retrospektive und sind mit dem Kopf noch in Tabellen, Skripten, Kundengesprächen oder was sonst unseren Arbeitsinhalt ausmacht. Da fällt es schwer, sich plötzlich auf innere Angelegenheiten zu fokussieren. Deshalb startet die Retrospektive leicht, mit einer Intro die erst einmal den Stresspegel senkt und eine positive Atmosphäre schafft. Das ist gut, denn ein hohes Stresslevel beeinträchtigt die Gedächtnisleistung. Um aus unseren gesammelten Erfahrungen jedoch Erkenntnisse ableiten und Verbesserungsideen entwickeln zu können, brauchen wir unser Gehirn im arbeitsfähigen Zustand.
Vielleicht kommen wir aber auch gerade aus der Mittagspause, dann ist es gut, beim Ankommen etwas aktiviert zu werden. Denn ein bisschen Stress, hervorgerufen zum Bespiel durch die Aufgabe, sich selbst als Superhelden zu beschreiben, steigert wiederum die Gedächtnisleistung. Außerdem macht das Spaß und positive Emotionen fördern die Kreativität, die wir brauchen, um aus dem Rückblick Ideen für Verbesserungen zu entwickeln. Zuviel Spaß allerdings erhöht die Ablenkbarkeit. Aber dafür gibt es ja Timeboxen: Festgelegte Zeitabschnitte für jeden Teil der Retro. Keine Retro ohne Wecker.
Informationen sammeln, Erkenntnisse entwickeln, Maßnahmen festlegen.
Mit anderen Worten: Lernen.
Die Teamforschung hat es wiederholt gezeigt: Teams, die aus ihrer Zusammenarbeit lernen, sind effektiver und innovativer. Teamlernen wird möglich über das Einholen von Feedback, Austausch von Informationen, Bitten um Hilfe, Auswertung von Fehlern und durch Experimentieren.
Oft haben Teams jedoch die Tendenz, über Gemeinsamkeiten zu sprechen und Unterschiede lieber nicht zu thematisieren. Um Feedback zu bitten, nach Hilfe zu fragen, Fehler offenzulegen ist riskant. Es birgt das Risiko, eine Rückmeldung zu erhalten, die uns nicht gefällt, wir machen uns verletzlich. Damit wir dieses Risiko einzugehen wagen, braucht es Psychologische Sicherheit***. Die braucht etwas Zeit, um sich zu entwickeln, denn sie basiert auf den Erfahrungen, die die Teammitglieder im Laufe ihrer Zusammenarbeit miteinander machen.
Retrospektiven können dabei helfen. Das beginnt mit der in Retros gern angewandten Vegas-Regel: Was in der Retro passiert, bleibt in der Retro. Wichtig ist, dass sich alle daran halten. Wichtig ist auch, dass wertschätzend mit den Beiträgen aller umgegangen wird, denn erklärtes Ziel der Retro ist es, die Sichtweisen aller Teammitglieder auf die Zusammenarbeit sichtbar zu machen und für Verbesserungen zu nutzen. Die agile Toolbox bietet dafür zahlreiche Werkzeuge. In ihrer Essenz zielen sie darauf ab zu sammeln, was in der Zusammenarbeit im betrachteten Zeitraum als hilfreich und was als hinderlich empfunden wurde, um dann gemeinsam zu entscheiden, was geändert und was beibehalten werden soll. Das Vorgehen folgt dabei gern dem Prinzip: Jeder sammelt für sich, dann teilen wir. So entsteht Raum für unterschiedliche Sichtweisen. Ähnliche Beiträge werden gruppiert. Themen, die sich wiederholen, geben einen Hinweis darauf, dass sie für das Team gerade besonders wichtig sind.
Für virtuelle Teams gewinnt diese Zeit für gezielte Reflexion noch einmal stärkere Bedeutung. Ohne informelle Treffen bleibt für solche Teams oft wenig Raum, Irritationen anzusprechen und Stimmungen einzufangen. Retros bieten eine Möglichkeit, diesen Raum wieder zu öffnen und so zu verhindern, dass sich Irritationen zu Frustrationen aufbauen und Zusammenarbeit im Team behindern. Dank digitaler Whiteboards sind Retros mittlerweile auch gut in virtuellen Teams durchführbar.
Zum Abschluss: Ein Wort, ein Satz, ein Bild
Ein Aufsatz, wurde mir zu Schulzeiten beigebracht, braucht einen Anfang, eine Mitte und ein Ende - wie ein Fisch. Für die Retro gilt das selbe. Nach all dem sammeln, gruppieren, diskutieren, Ideen generieren und konsolidieren, folgt ein Abschluss. Meist kurz und auch hier: wertschätzend. Oft ist es ein Feedback zur Retro oder eine Gelegenheit, dem aktuellen Gemütszustand in Bezug auf das Projekt, die Zusammenarbeit oder die Retro selbst in einem Wort, einem Satz oder Bild Ausdruck zu verleihen. Das schafft Transparenz und kann auch darauf hinweisen, wo Diskrepanzen beim nächsten mal aufgegriffen werden sollten.
Bereit für eure Retrospektive?
Es gibt zahlreiche Quellen, die euch bei der Planung eurer Retro unterstützen können. Trotzdem kann es überwältigend sein, eine Retro zu organisieren, wenn man noch keine Erfahrungen damit gesammelt hat. Außerdem kann es hilfreich sein, Retrospektiven von Unbeteiligten moderieren zu lassen, denn als Moderator sollte man nicht selbst in die Diskussion einsteigen. Schreibt mir, wenn ihr die Retrospektive einmal ausprobieren wollt, ohne sie gleich selbst zu organisieren.
* Titel eines Oasis Songs
**Def. aus dem Scrum Guide:
*** Das Konzept der Psychologischen Sicherheit geht zurück auf Amy Edmondson und wird definiert als “ein innerhalb eines Teams geteiltes Gefühl von Sicherheit, zwischenmenschliche Risiken eingehen zu können”