Darf es ein bisschen weniger sein? Weniger anfangen, mehr zu Ende bringen
Die Antwort auf die Frage …
Wie soll ich das eigentlich alles schaffen?
… lautet manchmal:
Kannst du nicht.Jedenfalls nicht in dem Zeitraum, in dem du das alles schaffen willst.
Warum ihr euch weniger vornehmen solltet
Aus meinem ersten Kanban Training sind mir vor allem zwei Dinge hängengeblieben:
- Die optimale Auslastung eines Systems liegt nicht bei hundert Prozent, eher bei achtzig.
- Ständig zwischen Aufgaben springen, verlangsamt enorm. Wer das selbst ausprobieren möchte, findet die Anleitung für ein kleines Experiment am Ende dieser Seite.
Maximale Auslastung ist keine Produktivitätsstrategie
IT-Verantwortliche wissen, dass die dauerhafte Vollauslastung eines Systems riskant ist. Die nächste Lastspitze kommt bestimmt und könnte das System extrem ausbremsen oder gar zum Erliegen bringen. Uns selbst hingegen verplanen wir immer wieder bis zum Limit oder darüber hinaus. Und auch Organisationen treiben Teams und deren Mitarbeiter gern zu maximaler Auslastung an. Puffer gelten schnell als Verschwendung.
Kommt es dann zu unvorhergesehenen Problemen oder Mehraufwand, muss umgeplant werden. Aufgaben werden neu priorisiert, Mitarbeitende werden von anderen Projekten abgezogen, um auszuhelfen. Das erfordert Einarbeitungszeit in neue Inhalte und neue Teamkonstellationen. Kehren die Mitarbeitenden später zu ihren ursprünglichen Aufgaben zurück, können sie selten nahtlos dort anknüpfen, wo sie aufgehört haben. Der rote Faden ist verloren, sie müssen sich die nötigen Informationen und Zusammenhänge erst wieder ins Bewusstsein rufen. All dies geht zu Lasten der Produktivität.
Maximale Auslastung mag kurzfristig Leistung vortäuschen, mittelfristig leidet jedoch die Effektivität.
Woran ihr merkt, dass ihr euch zu viel vorgenommen habt
IT-Verantwortliche nutzen Grafiken, die die Auslastung ihrer Systeme anzeigen und lassen sich benachrichtigen, wenn kritische Schwellwerte überschritten werden. Die Belastung von Menschen lässt sich nicht auf Knopfdruck in eine schicke Grafik übersetzen, trotzdem kann man auch ihre Arbeitslast sichtbar machen.
Arbeitsintensität im Team transparent machen
Für Teams bietet Kanban einen guten Ausgangspunkt, um sichtbar zu machen, wie hoch die aktuelle Auslastung ist und wie gut Aufgaben durch den Arbeitsprozess fließen. Dafür müsst ihr eure Arbeitsweise nicht grundlegend ändern. Zwei Grundprinzipien im Kanban besagen: Beginnt dort, wo ihr gerade steht, und einigt euch auf evolutionäre Verbesserungsschritte. Für eure aktuelle Standortbestimmung könnt ihr Kanban-Metriken nutzen: Vorlaufzeit, Durchlaufzeit, Anzahl der aktuell in Bearbeitung befindlichen Aufgaben und Durchsatz. Mit Hilfe dieser Daten findet ihr Antwort auf Fragen wie:
- Wieviel versuchen wir gleichzeitig zu tun? (Anzahl der Aufgaben in Bearbeitung)
- Wieviel schaffen wir pro Zeiteinheit fertigzustellen? (Durchsatz)
- Wie lange bearbeiten wir eine Aufgabe? (Durchlaufzeit)
- Und wie viel Zeit vergeht im Durchschnitt insgesamt zwischen Annahme und Abschluss einer Aufgabe (Vorlaufzeit)
Im nächsten Schritt könnt ihr euch überlegen, ob diese Zeiten angemessen sind. Stellt ihr fest, dass Aufgaben zu lange “im System” verbleiben, solltet ihr den Gründen dafür nachgehen. Regelmäßige Retrospektiven im Team bieten dafür einen guten Rahmen. Warum die nützlich sind und wie sie grundsätzlich ablaufen, könnt ihr hier nachlesen.
Aufgaben im Blick behalten
Zahlen, Daten, Fakten könnt ihr natürlich auch für euch persönlich nutzen, um herauszufinden, wie stark ausgelastet ihr seid:
- Wie viele Themen stehen täglich auf eurer ToDo-Liste? Wie viele davon erledigt ihr normalerweise und wie zufrieden seid ihr damit?
- Wieviele Themen erledigt ihr, die nicht auf eurer ToDo-Liste standen? Ergänzt die ToDo-Liste um eine Done-Liste, um diesen Teil transparent zu machen.
- Was habt ihr euch für diese Woche, diesen Monat, dieses Quartal vorgenommen? Wieviel davon habt ihr geschafft?
Falls du das alles nicht zählen kannst, weil deine Aufgaben auf Notizzetteln, in digitalen Task-Managern und deiner Email-Inbox verstreut sind, solltest du dein System überdenken. Versuche, dir einen zentralen Ort einzurichten, in dem du alle anstehenden Aufgaben verwaltest. Das verschafft dir einen Überblick darüber, wieviel du wirklich zu tun hast und hilft dir, dich besser auf die Arbeit zu konzentrieren. Ein beliebtes System, mit dem auch ich arbeite, ist die Getting-Things-Done-Methode (GTD).
Auf die innere Stimme hören - und auf die Stimmen deiner Mitmenschen
Wieviel du auf dem Zettel hast, sagen dir die Daten. Wie sehr dich das belastet, sagt dir dein Wohlbefinden. Wie geht es dir gerade?
Achtsamkeitsübungen helfen, das Gespür für dich selbst zu stärken. Meditation ist eine Möglichkeit. Wenn du das Sitzen in Stille nicht magst, kannst du etwas anderes ausprobieren, zum Beispiel Tai Chi, Zeichnen oder Gärtnern. Selbst Kartenhäuser bauen übt die Konzentration auf den Augenblick. Wichtig ist, Achtsamkeit regelmäßig zu praktizieren. Warte nicht damit, bis die nächste Stresssituation eintritt. Bist du erst einmal überlastet, wird es schwerer, auch noch Achtsamkeitsroutinen in den Alltag einzubauen.
Wenn du selbst nicht mehr merkst, wie gestresst du eigentlich bist, wird es für deine Mitmenschen in der Regel umso deutlicher. Kollegen, Freunde und Familie bemerken, wenn wir blass und fahrig ins Büro hetzen, sich Schreibfehler in unseren Emails häufen, wir Verabredungen vergessen und gereizt reagieren. Deshalb fragt eure Mitmenschen, ob ihr überlastet auf sie wirkt. Sie geben euch sicher gern Auskunft.
Und wie jetzt weniger vornehmen?
Auch für Blogartikel ist weniger oft besser und dieser hier ist schon einigermaßen lang geworden - schön, dass du bis hierher durchgehalten hast!
Wie du es schaffst, dir weniger vorzunehmen, darüber habe ich im nächsten Artikel geschrieben:
Bonus: Sequentiell vs. parallel - teste selbst
Diese Übung habe ich in meinem ersten Kanban Training kennengelernt. Sie soll zeigen, dass eins-nach-dem-anderen schneller geht als alles-gleichzeitig-machen. Aber vielleicht stimmt das ja nicht - teste es selbst.
Die Aufgabe:
Na, bist du beeindruckt? Genau das passiert, wenn du versuchst, E-Mails während einer Videokonferenz zu beantworten.
Zum Weiterlesen:
- Buch von Johann Hari: Abgelenkt. Schreibt in Kap. 1 über Kosten und Fehleranfälligkeit beim Springen zwischen Aufgaben und im ganzen Buch über das, was uns ablenkt und was das für unsere Art, unser Leben zu bewältigen, bedeutet.
- Website: Kanban Guides Guter Überblick über das Konzept des Kanban